Zeitreise zu sich selbst
Die Welt, 3. September 2006
Von Birgit Borsutzky
Der Hamburger Carsten Janz fährt seit
1998 auf dem Fahrrad durch die Welt.
Erst wenn er alle Kontinente besucht hat,
will er wieder sesshaft werden. Sein
nächstes und letztes Ziel ist Afrika
Sein Bundeskanzler ist Helmut Kohl und
seine Währung die Mark. Carsten Janz ist
44 Jahre alt, Hamburger und war seit acht
Jahren nicht mehr in Deutschland. Er sitzt
in Radlerhose und Turnschuhen vor einer
Pension in Swakopmund.
Janz ist auf Durchreise in Namibia – wie in
den 41 Ländern, in denen er vorher war.
In den Taschen an seinem Fahrrad stecken
35 Kilo Gepäck. Janz macht eine
Weltreise auf dem Rad. Alle Kontinente
will er durchqueren, rund 80 000 Kilometer
hat er schon hinter sich. „Ich wollte
dem Nine-to-Five-Arbeitstrott entkommen“,
sagt der gelernte Versicherungskaufmann.
Schon 1994 schlug er sich als Reisebegleiter
und Fitnesstrainer mit Saisonjobs
durch. Ein halbes Jahr arbeitete er, die
übrige Zeit reiste er durch die Welt.
Schließlich suchte er die ultimative Herausforderung.
Einen Trip, der ihn an seine
Grenzen führen würde, körperlich und
mental. Einen, der seine drei Leidenschaften
verbände: Reisen, Sport, Abenteuer.
„Fast als logische Folge wurde daraus die
längste Radtour der Welt“, sagt er heute.
Vier Jahre sparte Janz für die Tour. Am
13. August 1998 stieg er in Hamburg aufs
Fahrrad und fuhr los. Durch Tschechien,
Österreich, Ungarn, Kroatien, Italien und
Griechenland. Über die Türkei erreichte er
den Nahen Osten. Als am 7. Februar
1999 König Hussein von Jordanien starb,
war er in der Hauptstadt Amman. Innerhalb
von Minuten schlossen die Menschen
ihre Läden, ein Klangteppich von
Gebeten lag über der Stadt.
Janz fuhr weiter. Manchmal flogen Steine,
die ihn treffen sollten. Als die Attacken
häufiger wurden, ging er zur Polizei, die
drei Schüler stellte. „Warum werft ihr
Steine auf den Ausländer“, wollten die
Beamten wissen. „Wir werfen Steine auf
Schafe, wieso nicht auf ihn“, war die
Antwort. Als Weißer mit Baseball-Kappe
hielten ihn viele für einen Fahrrad-Touristen
aus den USA, vermutet Janz. Er fuhr
weiter.
Über die alte Seidenstraße, auf der schon
Marco Polo gereist ist, wollte er nach
China und Südostasien. Auf dem Karakorum
Highway in Pakistan standen sechs
kräftige Männer und blockierten den Weg.
Dass er jetzt nicht anhalten dürfe, war
Janz klar. Er raste auf sie zu, zückte sein
Pfefferspray und sprühte sich den Weg
frei. Drei Männer lagen am Boden, Carsten
Janz fuhr schnell weiter. Nicht nur vor
Überfällen, auch vor wilden Hunden habe
ihn das Spray schon oftmals gerettet.
Den Westen Chinas durchquerte er am
Rande der Taklamakan Wüste. Bei jedem
Stopp sammelten sich 20 bis 30 Menschen
um ihn. „Sie haben gestarrt, einfach
da gestanden und mich angestarrt.
Sogar dann, wenn ich gegessen habe.“
Die ersten Tage habe er das lustig gefunden.
Später habe er sich gefühlt wie ein
Tier im Zoo. Drei Monate war Janz in China
und schlug sich mit 30 Wörtern Hochchinesisch
durch. Über Wochen traf er
keinen Reisenden, zu den Einheimischen
fehlte ihm der Zugang. „Es war die
schwierigste Zeit der Tour, aber im Nachhinein
war es die beste“, sagt er.
In Thailand
verliebte er sich in eine Japanerin und
folgte ihr nach Osaka, wo er als Englischlehrer
arbeitete. „Freunde haben gesagt:
Das ist das Ende der Reise, jetzt wirst du
sesshaft“, sagt er. Janz wusste es besser.
Keine Frau würde ihn abhalten können.
Sobald er in Japan genug Geld verdient
hatte, wollte er weiter.
Nach eineinhalb Jahren saß er wieder auf
dem Fahrrad, seine Freundin begleitete
ihn. In Kuala Lumpur kehrte sie um. Mit
Janz konnte sie nicht mithalten.
In Neuseeland trafen sie sich wieder. Es
war das Jahr 2003. Inzwischen hatte Janz
Australien vom Westen nach Osten
durchquert. Nur wenn es keinen Landweg
gab, stieg er ins Flugzeug. Wieder fuhr er
mit seiner Freundin Fahrrad, und für drei
Monate arbeiteten sie auch zusammen,
pflückten Äpfel auf der Südinsel. Dann
trennten sie sich. Janz flog nach Vancouver,
er musste noch Amerika und Afrika
durchqueren. Solange wollte sie dann
doch nicht warten.
Allein mit seinen Erlebnissen in Nordamerika
könnte Carsten Janz ein Buch füllen.
Er schlief an Bushaltestellen, unter Brücken,
sogar in der Kabine eines Fotoautomaten.
„Auf so einem Trip geht es natürlich
auch darum, seine eigenen Grenzen
kennenzulernen“, sagt er.
Aus Südamerika habe er vor allem die
Farben mitgenommen. Seine Fahrradtaschen
sind mit dem bunten Webstoff der
Inkas geflickt, auf seinem Lenker steckt
eine kleine Puppe, sein Glücksbringer. Ein
Inka-Mädchen hat es ihm geschenkt. „Du
brauchst Schutz“, sagte sie. „Die größte
Gefahr sind die Stürze“, sagt Janz.
Während der Tour stürzte er zwölf Mal,
am schlimmsten in Chile. Der vordere
Gepäckträger brach und blockierte das
Rad, Janz fiel über den Lenker. Mit zwei
gebrochenen Rippen fuhr er durch Patagonien
bis Feuerland. Nachdem er sich
im Krankenhaus in Santiago kuriert hatte,
flog er nach Kapstadt. Afrika ist der letzte
Kontinent, den er durchqueren will.
Über Keetmanshoop in Namibia fuhr er
zum Sossusvlei in die Namib-Wüste, von
dort weiter über Walvis Bay nach Swakopmund.
Jetzt will er nach Windhoek.
Wie es dann weiter geht, weiß er nicht.
„Die grobe Richtung ist Kairo“, sagt er. Er
will auf das hören, was die Einheimischen
empfehlen. So habe sich der größte Teil
seiner Fahrradweltreise ergeben. Nur die
Abfolge der Kontinente stand von Anfang
an fest. Afrika, der schwierigste von allen,
sollte zum Schluss kommen.
In einem Jahr, schätzt Janz, wird er mit
der Muskelkraft seiner Beine alle Kontinente
der Erde durchquert haben. Dann
wird er neun Jahre unterwegs gewesen
sein. Ein einziger Freund ist ihm geblieben,
er lebt in Deutschland. „Für die
meisten ist die Schmerzgrenze ein Jahr,
danach verlieren sie das Interesse an
einem“, sagt er. Auch der Kontakt zu den
Menschen, die er auf seiner Tour kennenlerne,
würde meist nicht halten. Janz hat
kein Handy, aber eine E-Mail-Adresse.
Manchmal fühle er sich einsam. Nicht
beim Fahrradfahren, dafür abends, wenn
er einmal in einem Restaurant essen geht
und niemanden kennt. „Das ist der Preis
dafür, dass ich diese Herausforderung
angenommen habe“, sagt er. Carsten
Janz wollte auf seiner Tour die Welt kennenlernen
und sich selbst. „In all den Jahren
allein auf dem Fahrrad bin ich ruhiger
und gelassener geworden“, sagt er.
Nach der Reise wieder in Deutschland zu
leben, kann er sich nicht vorstellen. Chile
würde ihm gefallen. Dort hat er sich in
eine Frau verliebt. „Ich freue mich darauf,
wieder länger an einem Ort zu bleiben,
Freunde zu finden und mir etwas aufzubauen“,
sagt er. Wie lange er in Chile
bleiben wird, weiß er nicht. Für immer
bestimmt nicht. Das sei ein zu großes
Wort für einen, der seit acht Jahren auf
dem Fahrrad durch die Welt fährt.